Diese Geschichte stammt aus dem eBook Space Jobs 4: Die Kurzgeschichten.
Wie macht man das, einen ganzen Planeten zu klauen? Man braucht ein großes Netz. Kein Fischernetz, ein Gravonetz. Mit genügend Gravitation kann man alles transportieren.
Natürlich stehlen wir die Planeten nicht, die meisten sind herrenlos. Denn die Galaxis ist überreichlich möbliert mit Planeten, Monden, Planetoiden und allem, was sonst noch klassifizierbar ist.
Wer braucht einen Planeten? Nun, die Gründe sind vielfältiger, als man gemeinhin denkt. Traurigerweise werden immer wieder Welten durch kriegerische Auseinandersetzungen zerstört. Da die jeweiligen Sonnensysteme anschließend in die Instabilität zu rutschen drohen, muss ein Ersatzplanet gefunden werden. Hier kommen wir ins Spiel.
Häufiger noch geschieht es, dass Welten von ihren Bewohnern selbst zugrunde gewohnt werden. Es ist dann oft billiger und praktischer, eine Kugel komplett auszutauschen, als die alte in einem langwierigen Verfahren wieder bewohnbar zu machen. Terra etwa spielt schon im dritten Aufzug. Diese Kundschaft allerdings ist streitbar und meist knapp bei Kasse.
Ein solider Planet ist immer auch ein exzellentes Rohstofflager. Und zwar eines von gewaltigen Ausmaßen. Rohstoffe sind überall gefragt. Manches Volk gönnt sich einen kleinen Vorrat in Form eines Asteroiden oder Zwergplaneten, den wir im Außenbereich ihres Systems deponieren. Dort kann man sich dann bequem an den Schätzen gütlich tun.
Hin und wieder sind wir besonders gefordert, wenn ein ausnehmend altes Volk einen Ersatz für eine Welt wünscht, die vor Urzeiten im Feuer einer Nova untergegangen war. Diese Völker waren zwar rechtzeitig migriert, wollen nun aber um die erloschene Sonne ein passendes Erinnerungsstück installiert wissen. Das ist die Sentimentalität der Altvorderen.
Die schwierigste Aufgabe besteht darin, jeweils eine geeignete Welt zu finden. Unsere Kundschaft ist, was diese Dinge angeht, äußerst anspruchsvoll, schließlich ist sie es, die hinterher darauf leben muss.
Wissen Sie, wie viele Planeten es da draußen gibt? Hunderte von Milliarden und keiner ist wie der andere. Das macht die Sache für uns kaum einfacher. Doch wir haben unsere Prospektoren. Wir haben die Teams, und wir haben unsere Datenbanken.
Einschub
- 1992 wurden die ersten Exoplaneten bestätigt. Es waren exotische Welten um einen Pulsar.
- 1999 waren bereits 30 Exoplaneten bekannt.
- 2014 konnte man die Zahl der bereits entdeckten Exoplaneten nicht mehr exakt angeben. Sie lag zwischen 2000 und 15000 Objekten.
- 2015 kannte man 72 Exoplaneten, die sich nicht um eine Sonne, sondern im freien Raum wie Sterne gebildet hatten. Solche Objekte wurden als Vagabunden oder Planemos bezeichnet.
- 2016 wurde der erste erdähnliche und sicher bewohnbare Exoplanet identifiziert.
- 2036 schließlich waren Millionen Planeten bekannt und man begann, sie zu erforschen und nutzbar zu machen.
1) Der Prospektor
Die symbiotische Lebensform Wil-liw war darauf spezialisiert, Vagabunden im freien Raum aufzuspüren. Solche Planemos gab es in großer Zahl, sie waren jedoch nicht einfach zu finden. Es waren kalte und dunkle Welten, die nie eine Sonne gesehen hatten. Letztlich waren diese Planeten wie Sterne auch aus kollabierenden Gas- und Staubwolken hervorgegangen, manchmal reichte es sogar zum Braunen Zwerg. Einen solchen zeigte just der Schirm.
Die Lebensform Wil-liw war zum einen ein Kaspander, ein grob humanoides Wesen mit einem teigigen Gesicht, das eine unbestimmte Form aufwies. Es gab Öffnungen für die Aufnahme von Nahrung und Atemluft. Und dort, wo ein Mensch seine Augen gehabt hätte, saß der Pankasder. Er brachte das leistungsfähige Sinnesorgan in die Partnerschaft ein.
Eine Planetensuche im freien Raum folgte stets demselben Muster. Das Schiff flog einen vom Symbionten ausgewählten Bereich ab und scannte fortwährend. Die Aufgaben konnte das Schiff selbsttätig durchführen, Wil-liw lief erst zum Einsatz auf, wenn die Scanner fündig geworden waren. Seine Expertise als Prospektor war außergewöhnlich.
Der vor ihm liegende Raumsektor im Scutum-Crux-Arm der Milchstraße hatte bislang wenig Erbeutenswertes zutage gebracht. Lediglich einen Asteroiden hatte er aufgespürt, der als Rohstoffquelle taugte, da er eine erkleckliche Anzahl wertvoller Lanthanoiden enthielt.
Der Braune Zwerg glühte düster im Infraroten, seine Oberflächentemperatur ähnelte verblüffenderweise der Schiffsinnentemperatur. Wil-liw konnte diese Temperatur ebenso sehen wie den Hauch von Röntgenstrahlung, der als dürrer, blassblauer Nebel von der streifigen Oberfläche aufstieg. Der Braune Zwerg war zu klein für die klassische Deuteriumfusion, bei der ein Proton und ein Deuteriumkern zu einem Helium3-Kern verschmolzen, aber er war groß genug, um drei planetare Objekte an sich zu binden, von denen eine weiß schimmernde Kugel die besondere Aufmerksamkeit des Prospektors erweckte.
„Tiefenscan“, wandte er sich an das Bordhirn des Schiffes, während der Pankasder mit seinen empfindlichen Sinnen die Oberfläche überflog.
„Und bring auch eine Wolke Flubos aus.“
Hier stimmte etwas nicht. Zum einen war der Planet viel zu groß, um in einer Akkretionsscheibe um den Braunen Zwerg entstanden zu sein. Auch der Abstand zum Zentralkörper passte nicht – er hätte viel geringer ausfallen müssen. Zudem besaß die Kugel ein vereistes Meer und eine Atmosphäre; die hatte sich zwar längst als Schnee auf der Oberfläche niedergeschlagen, aber sie bestand aus einem für viele Organismen atembaren Gemisch.
Dann machten die nanogroßen Flubos eine weitere Entdeckung. Sie registrierten elektromagnetische Wellen. Eine Anzahl Funkbaken, die ein schwaches Signal aussandten. Die knappe Botschaft, die sich ständig wiederholte, lautete:
„Diese Welt ist Eigentum von Bigger Planets Incorporated!“
In Wil-liws Gesicht arbeitete es. Dieser Planet war eine Vorratswelt. Angelegt und versteckt von der Konkurrenz und möglicherweise bereits für einen Käufer vorbereitet. Der Planet musste nur noch transportiert und in der Umlaufbahn einer geeigneten Sonne aufgewärmt werden.
Aus der Nahrungsöffnung des Karpanders gluckerte es vernehmlich.
„Flubos einholen“, erging die Anweisung an das Bordhirn. „Ich brauche ein Roboteam. Die Blechmänner sollen die Baken einsammeln. Die schmeißen wir in die nächste Sonne.“
An deren Stelle setzte er seine eigene Baken, markierte den frostigen Vorratsplaneten mit Werbesprüchen, die das Schiff mit einem Laser in den Schnee schmolz und schickte eine euphorische Nachricht an den Hauptkoordinator. Eine weitere Welt war zur Abholung bereit.
2) Das Netz
Christoph und Anja hatten es sich auf der zentralen Sitzgruppe im Rund des Kontrollraums gemütlich gemacht. Ein Schwebo hantierte mit einer Kaffeekanne, während ich meinen zerknüllten Müll zielsicher in seine geöffnete Bauchklappe warf. Von diesem Platz aus hatte man eine exzellente Sicht auf den großen Holoschirm.
„Gleich haben wir ihn im Sack“, meine Christoph optimistisch.
Der Brocken, mit dem wir es zu tun hatten, war ein Zwergplanet der Klasse 7, ein eher kleines Objekt, aber mit 907 Kilometern Durchmesser nicht komplett verachtenswert. Jedenfalls trieben wir nur kleinen Aufwand mit dem Brocken, gerade einmal 40 unserer Spezialschlepper reihten sich vierfach gestaffelt zwischen Sonne und Zwergplanet auf. Die Gravolinien wurden zwischen den Raumern aktiviert und erzeugten das Schleppnetz. Die außen befindlichen Schiffe würden zuerst beschleunigen, sodass der Himmelskörper nach und nach hälftig vom Netz eingehüllt und schließlich bewegt wurde. Sehen konnte man von all dem vor Ort überhaupt nichts. Man brauchte den Holoschirm, der die Linien des Netzes berechnete und in einem gleißenden Orange visualisierte.
Anja gestikulierte Kommandos in ihr Falttab, während Christoph hinter einem Antischallfeld ein Ferngespräch führte. Das Feld erlosch und Christoph meinte: „Ich schalte ihn eben aufs Holo. Es gibt eine Entwicklung.“
In der linken unteren Ecke des Schirms tauchte ein freundlicher Riesenhamster mit aufgeblähten Backentaschen auf. Er sagte: „Mein Name ist Erlwutter Tahassa, ich bin Ihr Hauptkoordinator auf Terra.“
„Wie können wir helfen?“, fragte ich.
„Einer unserer Prospektoren hat einen geheimen Vorratsplaneten der BPI ausgemacht und vorläufig für uns gesichert. Es handelt sich um ein äußerst wertvolles Objekt, erdähnlich mit Atmosphäre.“
Christoph und Anja applaudierten spontan. Die übrigen Mitarbeiter des Kontrollraums stimmten ein.
„Ihr Auftrag ist folgender“, fuhrt Erlwutter fort. „Brechen Sie die augenblickliche Operation ab und verlegen Sie sich und Ihre Teams in den Scutum-Crux-Arm. Wir wollen der BPI eins auswischen, die Sache mit dem Ringplaneten bei Arteide vor acht Monaten hat hier niemand vergessen.“
“Bei uns auch nicht“, versicherte ich und erntete Kopfnicken von allen Seiten.
„Ich schicke Ihnen die Aufzeichnungen des Prospektors und seine Positionsangaben hinüber.“
Anja bestätigte bereits den Erhalt und wedelte etwas in ihren Rechner. Christoph rief die Schlepperkapitäne per Konferenzschaltung. Wir würden eine Weile unterwegs sein. Ich winkte den Schwebo mit dem Kaffee heran.
3) Die Sternenschüssel
Löwenfische nannten die Terraner uns. Es stimmte schon, unsere Ahnen hatten sich einst aus dem Meer aufgemacht. Wir liebten das Wasser und hielten uns feucht, so gut wir konnten. Die Terraner warfen uns fischige Wulstlippen vor und sprachen von einer löwengleichen Mähne. Aber auf dieses Haar waren wir stolz, es wurde auf unendlich komplizierte Weise gedreht, gezwirbelt und geflochten. Denn auf diese Weise drückten wir unsere Gefühle aus. Andere Rassen schrieben Gedichte, wir frisierten!
Wir befanden uns nahe Abraxas Fortsatz, einer unfreundlichen Dunkelwolke, im System der Riesensonne Bark^unus. Wir nannten es die Sternenschüssel, denn dies war unser Lagersystem. Nur eine gewaltige Sonne wie Bark^unus konnte derart viele Körper stabil halten. Obwohl, zu gewaltig durfte sie auch nicht sein, denn mit der Größe stieg die Gefahr von Protuberanzen wahrhaft kosmischen Ausmaßes oder gar die Möglichkeit einer Supernova.
Derzeit rotierten hier 53 Planeten besonderer Güte – alle waren mindestens 3er. Bevor eine Welt ausgeliefert wurde, kamen wir Löwenfische zum Einsatz. Unsere Aufgabe bestand darin, nach Vorgabe des Kunden den Planeten für die Auslieferung bereitzumachen. Das hieß, wir plätteten oder schichteten Berge auf; verlegten oder leiteten Flüsse um; wir säten Turboregenwälder und kämmten Wüsten. Manchmal gar brauchte es ein kleines Extrameer oder eine schöne, frische Polkappe für besonders anspruchsvolle Kunden.
Mein Trupp war im Hangar angetreten. Mein Stolz leuchtete ihm aus meiner Haarpracht entgegen. Siebzehn Rechts-Links-Wickel hatte ich am Abend zuvor gelegt.
„Männer“, deklamierte ich, „für die nächsten Zeiteinheiten werden wir auf dieser wunderschönen Welt dort unten schaffen. Der Planet wurde erst vor Kurzem entdeckt und wird im Expressverfahren aufgetaut.“
Wie es hieß, war man in diesem Fall der Bigger Planets Incorporated zuvorgekommen. Recht so! Darum sollte der Himmelskörper nun auch, so hieß es weiter, ein dauerhaftes und besonderes Ausstellungsstück werden. Wir Löwenfische unterstützten das.
Unter spritzenden Tropfen und mit wirbelnder Mähne rief ich: „In die Fähren. An die Arbeit. Und haltet euch feucht, Männer!“
Als nach 37 Tagen der Planet vollständig aufgetaut war und die Atmosphäre gasförmigerweise ihren angestammten Platz über der Planetenkruste eingenommen hatte, öffneten sich die Meere, 18.000 Spezialschlepper strömten empor und gingen im Bark^unus-System auf die Jagd. Die Schiffe der Bigger Planets Incorporated räumten die Sternenschüssel leer, sie stahlen alle 53 Planeten. Die Löwenfische warfen sie ins All.
Gibt Deinem Ende Leichtigkeit! (Wahlspruch der Pankasder)
ENDE
Diese Geschichte stammt aus dem eBook Space Jobs 4: Die Kurzgeschichten.